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Besprechung

daseinsprotokolle. lyrik

Elsinor Verlag, Coesfeld, 2020

 

Friedrich A. Bahmer [Münster, 2022]

»die welt ist voller bilder. damit wir sicher gehen durch melancholien und verluste.« Doch nicht nur die Welt, auch Gedichte sind voll von Bildern und Metaphern, auf dass wir gewappnet seien und unsere Angst benennen können, denn »im benennen liegt deutungsmacht«. Und auch, damit sich wieder diese »zufriedenheit« einstellt, diese »wundersame ruhe«, wie vormals im Winterlicht erlebt.

In Köln dann Inspiration, im Morgennebel, ein gleißender Lichtstrahl. Keine Einbildung, auch ein Bettler ist gebannt, auch er verharrt stumm im Zeichen. Starke Gefühle, schäumende Freude, von der Kraft der Musik vermittelt »die unbeherrschtheit freier Freude«.

Es ist freilich nicht leicht, »die Flügel auszubreiten, die gefalteten, gestauchten«, allzu schwer sind Gewohnheiten, Trägheit und Einfallslosigkeit. Doch von liebevollen Händen gehalten, kann die Freiheit »die bestickten flügel bereiten. weiten und breiten«,

kann das Gesicht sich entfalten und das »schönsein erblühn«.

 

Es gilt, sich in sein Leben einzumischen, ohne Scheuklappen und ohne Illusionen, sein inneres Kind an die Brust zu legen als eine zärtliche Geste für sich selbst. Doch schwer ist es, die Seele gegen Trauer und Schmerz abzuschirmen, schwer, ohne die kleine

Flamme der Resilenz völlig verlöschen zu lassen. Die Trauer um den Bruder, die Erinnerung an Kindheitstage am Meer,

beim Leuchtturm, auf den Handrücken Kaugummipapier. Ganz im Sinn SCHOPENHAUERS weiß die Autorin: »nicht das, was wir uns im leben aussuchen, heiligt uns. es heiligt uns das ungewollt erfahrene, erlittene, das mit letzter Kraft durchstandene.«

 

Als Gegengewicht zu den vielen Unsicherheiten des Lebens: reisen. Nicht aber Reisen in die Ferne, sondern die in Neu-Land, in das neue Land direkt vor der Haustür, ein Land, das dich mit offenen Armen empfängt. Und dann die großen Gefühle, die nur in winzigen, fast unmerklichen Gesten nach außen sichtbar werden können. So wie der überraschende Kuss auf den Hinterkopf des geliebten Mannes, das Wissen: »dein herz pochte etwas glücklicher als zuvor über dem grünkohl«. Kopfschütteln und Unverständnis der Mitmenschen über solch spontane Gefühlsäußerungen, da braucht es eine »dicke Haut«. Oder ein »dickes Fell«, auch wenn dies hässlich ist.

 

Wer weiß schon, wie schwer eine Schale daran trägt, dass sie mit allerlei Krimskrams gefüllt ist? Schwere, Fülle, eine Fülle, die auf keine Kuhhaut geht, so wie das Fresko im Kloster auf der Insel Reichenau suggeriert. Aber auch die Leere geht auf keine Kuhhaut, schon gar nicht, »dass wir so übergriffig sind«. Wie soll man das Leben lernen, wenn schon die kleinen Kinder in ihrem Kinderwägelchen diszipliniert werden? Wenn niemand, nicht einmal die Kindergärtnerin, den Schmerz der kleinen Seele beim Anblick

einer überfahrenen Taube wahrnimmt?

 

Aber da sind auch die Momente der Ruhe, der inneren Einkehr. Der Blick in den herbstlichen Garten, die geschäftige Vorbereitung auf den Winter erzeugt »eine zufriedenheit … ein aufgeräumtsein … eine wundersame Ruhe«, die sich auf die Seele überträgt. Und Zeiten, wenn ganz unverhofft »liebevoll und barmherzig« der Schlaf kommt. »Und siehe:« elende Mausefallen springen nicht sofort auf,

es weht tröstliches Licht.

Und »auch das. Ballast abgeben, wenn die Zeit dafür reif ist«. Loslassen, nicht das ungelebte Leben wie die lange Schleppe am Brautkleid hinter sich herschleppen, sonden in das Selbst integrieren, wie RILKE das formuliert hat: „das ist der Sinn von allem, was einst war, dass es nicht bleibt in seiner ganzen Schwere, …“. Nicht »in der eigenen gefahr versinken«, das interessiert niemanden, interessant ist nur, wann die Mensa geöffnet ist. Einfach »verantwortung nicht aufgeben. für sich selbst. für diesen feurigen, sonderbaren, geschmerzten Menschen« Um endlich die zu werden, die man ist: »ich entdecke milde liebe zu mir. … alles kleinkarierte zerfließt.«

 

Zum Schluss dann: »… den stolz gefühlt. den starken stolz gefühlt, dazuzugehören: zu all den schreibenden, zu alle jenen, für die ein leeres blatt und ein stift höchstes glück bedeuten.« HÖLDERLINS Worte, wie in Stein gemeißelt: „Was bleibet aber, stiften die Dichter“.

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